Kapitel 8: Ein ungleiches Paar
„Ha, ha! Sehr lustig, wirklich sehr lustig!“
grummelte der Zwerg. Auch er
hatte sich für die Reise schwer beladen. Über seiner
Rüstung aus gehärtetem
Leder trug er ein feingliedriges Kettenhemd und an seinem
Gürtel hingen 2
kleine Wurfäxte und eine schwere, zweihändige Axt. Auf
seinem Rücken hatte
er ebenfalls einen Rucksack, an dem er neben dem
Kochgeschirr seinen Helm
befestigt hatte. ‚Hoffentlich verwechselt er die
beiden Sachen nicht… Es sähe ganz schön unzwergisch aus, wenn er mit dem Topf
auf dem Schädel in den Kampf ziehen würde. Oder es wäre ziemlich unappetitlich
wenn er die Suppe im Helm zubereitet.‘ dachte Camy, behielt aber diesen Kommentar lieber
für sich. ‚Aber zumindest hat er an das Kochgeschirr gedacht.‘ schimpfte sie sich in Gedanken, denn sie
hatte sich ohne auf die lange Reise gemacht.
„Hier, das soll ich dir von meinem Bruder geben.“ brummte
er und gab ihr einen
Zettel. „Was ist das?“ wollte sie wissen. „Was weiss ich
denn. Der Brief ist an
dich und es geht mich nichts an, was er dir zu sagen hat.
Und da es mich nicht
im Geringsten interessiert, hab ich ihn auch nicht
gelesen.“ knurrte er mürrisch
und zog die Riemen des Rucksackes fester.
„Komm jetzt du Trödelliese, lesen kannst du das später.
Wenn wir rasten. Ich
will nicht länger als nötig für dich das Kindermädchen
spielen.“
Mit diesen Worten stapfte er übelgelaunt los und Camy
hatte Mühe ihm zu
folgen. Nach einer Viertelstunde Fußmarsch kamen sie zum
Stollen, der zum
Großen Tor führte. Camy blieb stehen und blickte zurück.
„Was denkst du,
wann werden wir wieder kommen?“ fragte sie. „Je eher
desto besser. Aber wenn
du weiter herum trödelst wird es viel länger dauern. Auf
dieser Fahrt kommt es
vor allem auf dich an. Es liegt allein an dir, wann wir
heimkehren. Ich hab den
Auftrag erhalten, dich so lange zu begleiten wie nötig
und auf dich aufzupassen.
Aus welchem Grund auch immer, aber mein Bruder hätte dich
gern unversehrt
wieder. Also Mädchen, weiter. Ich will noch eine gute
Strecke hinter uns
bringen, ehe die Nacht anbricht.“ Die Schmiedin nickte
und ging stumm weiter.
Sie wollte ihren Weggefährten nicht schon in der ersten
Stunde ihrer Reise
verärgern. Immerhin hatten sie ja noch einen langen Weg
vor sich und sie war
nun mal auf ihn angewiesen, wenn sie nicht gleich von ein
paar Orks gefressen
werden wollte.
Nach einer Weile erreichten sie das Große Tor mit den
beiden 20 Meter hohen
steinernen Wächtern. Sie hielten ihre Äxte kampfbereit in
den Händen und
warnten jeden der vorbei kam mit grimmigem Blick. Es
schien als würden ihre
Augen funkeln und sagen: Wehe dir, wenn du böses im
Schilde führst. Leg dich nicht mit uns an, wir sind ZWERGE!
15 Meter hinter dem Tor fiel der Berg senkrecht ab und
kein Weg führte von
außerhalb des Gebirges in Camys Heimat. Die
Zwergeningenieure hatten schon
vor langer Zeit eine Vorrichtung ersonnen, mit der man
sich auf Plattformen ,
die von schweren Eisengeländern umrandet waren, von oben
nach unten fahren
lassen konnte und die Zwerge nannten es Aufzug.
Ein ausgeklügeltes System mit
vielen Zahnrädern und Eisenketten zogen auf den
Plattformen schwere Lasten,
Besucher oder Krieger in die Höhe beziehungsweise ließen
sie herab. So war
Camys Clan wenigstens von einer Seite des Gebirges gut
geschützt und nie hatte
ein Ork oder ein anderer Feind Camys Heimat durch das
Große Tor betreten.
Die Gefahr kam immer aus dem Osten, wo der Eingang zum
Gebirge durch eine
steinerne Wehrmauer und einem starken Eichentor gesichert
war. Auf dem
Wehrgang patroulierte die Zwergenwacht und ein
Außenposten schützte eine
kleine Siedlung, in der sich einige Zwerge niedergelassen
hatten um
Landwirtschaft zu betreiben.
Wulfgast befahl den Torwachen, sie nach unten zu lassen.
Feixend wies der
Mann der Zwergenwacht sie zu einer Plattform und öffnete
ihnen mit der
unterwürfigen Verbeugung eines Dieners den Durchgang zur
Plattform. Als sich
der Zwerg an ihm vorbeidrängte, murmelte der Wächter:
„Also mir würde es ja
stinken, die Amme für so eine zu spielen.“ Wulfgast
packte ihn fest am Arm
und funkelte ihn böse an. „Für so eine Aufgabe kann man
eben nicht so mir
nichts dir nichts einen dahergelaufenen Zwerg der Wacht
nehmen. Da muss man
schon den Besten auswählen.“ Er stieß den Zwerg zur Seite
und zog Camy auf
die Plattform. „Danke, dass du dem Bescheid gestoßen
hast.“ wisperte sie.
„Nichts zu danken.“ knurrte er zurück. „Ich bin der
Beste, keine Frage. Aber das
heißt nicht, dass es mir nicht tatsächlich stinkt, mit
dir gehen zu müssen.“
Schweigend fuhren sie nach unten und Camy hörte noch die
abfälligen
Bemerkungen der Zwergenwacht. Tränen stiegen ihr in die
Augen. „Und warum
kommst du dann trotzdem mit? Spielst den Beschützer einer
‘unehrenhaften‘
Zwergin? “ fragte sie leise. „Weil es mir mein Bruder
auferlegt hat. Deshalb und
aus keinem anderen Grund. Ich erlaube mir kein Urteil
über das was gerecht
oder ungerecht ist oder vielleicht unehrenhaft, weil ich
von solchen Dingen
nichts weiß. Ich bin nur der Zweitgeborene. Wenn du auf
solche Fragen eine
Antwort erwartest, dann frag meinen Bruder. Ich weiß auch
nicht, was er sich
dabei gedacht hat.“
Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und nachdem sie
Wulfgast so
angefahren hatte, hielt die Zwergin eingeschüchtert den
Mund. Das Wetter
meinte es gut mit ihnen, die Sonne hatte sich hinter
Wolken versteckt und stach
ihnen nicht ganz so unangenehm in den Augen. Es war
Frühling, die Bäume
trugen schon die ersten Knospen und das Gras begann zu
duften. Immer wieder
wurde Camy von Wulfgast zur Eile angetrieben, denn seiner
Meinung nach
wanderte sie nicht, sondern spazierte in der Gegend
herum. Nach drei Stunden
Marsch hielten sie endlich an einem kleinen Bachlauf und
rasteten. Camy zog
ihre Schuhe aus und hielt ihre müden Füße ins Wasser.
Dann zog sie den Brief
aus der Tasche und las:
„An Camy Silberblick,
mittlerweile wirst Du aufgebrochen sein und meinen Bruder
Wulfgast
kennengelernt haben. Ich wünsche Dir eine gute Reise und
viel Glück. Hier habe ich Dir die Namen der Meisterschmiede aufgeschrieben:
1. Garbor ‚Steinbeißer’Eisenfaust, Schmiedemeister vom
Clan der
Hammerstahls. Er wird den Kopf des Zeremonienhammers
anfertigen.
2. Margwart Stahlblick, Schmiedemeister vom Clan der
Sicherschlags. Er
fertigt den Krähenschnabel an.
3. Thadeus Breithand, Schmiedemeister vom Clan der
Starkarme. Breithand fügt den Griff hinzu.
4. Sigrun Schimmerbart, Goldschmiedemeisterin vom Clan
der
Schimmerbarts. Sigrun verziert den Hammer mit Goldrunen
und Gravur.
Wulfgast kennt den Weg, er ist viel in unseren Gebirgen
unterwegs gewesen, er wird Dir ein guter Reiseführer sein.
Zu guter Letzt: passt gut auf Euch auf. In der Hoffnung
Euch bald wohlbehalten in der Heimat begrüßen zu können,
Torgast Hammerhand
P.s.: Ehrhild läßt schön grüßen.“
„Was schreibt denn mein holder Bruder?“ wollte Wulfgast
schmatzend wissen,
der mittlerweile neben Camy Platz genommen hatte und an
einem Kanten Brot
herum kaute. „Er hat eine Liste geschickt. Als erstes
müssen wir zum Clan der
Hammerstahls. Du wüsstest wie wir da hin gelangen.“
Wulfgast nickt. „Bis zu
den Hammerstahls ist es nicht ganz so weit. In einer
Woche müssten wir dort
sein. So, wir haben lange genug gerastet. Wir brechen
auf.“
***
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