Gleich einer geschlagenen Hündin, schlich Mürane in den
Thronsaal, ihr Arm war geschient und lag in einer Schlinge um ihren Hals.
Calister Pouè Pas stand am Fenster und schaute auf die Stadt. „Herr, wir hatten
die Zwerge und das Kind gefunden, doch sie hatten Hilfe bekommen. Fortingas So’no
hat ihnen beigestanden!“ beichtete sie kleinlaut. Der Oberste Alb fuhr herum.
„Fortingas!! Der Sohn von Tenebris? Bist du sicher!?“ Die Albin nickte. „Ich
habe sie bereits aufgesucht, doch sie hat die Stadt verlassen. Wohin weiß
niemand, selbst ihre Diener konnten es nach langer Folter nicht sagen!“
Calister goss sich Wein in einen Kelch und trank einen Schluck. „Sende Boten
aus, in alle drei Fürstentümer. Tenebris soll im Auge behalten werden!“ Mürane
nickte und bestätigte den Befehl. Sie wollte den Thronsaal verlassen als
Calister sie aufhielt. „Hast du etwas gehört über den Geheimbund?“ Die Nachtalbin blieb in der Tür stehen. „Wir
haben zwei Kinder mit blauen Augen ausfindig machen können. Doch bevor wir
etwas in Erfahrung bringen konnten, haben die Mütter den Kindern und sich
selbst das Leben genommen.“ Calister machte ein nachdenkliches Gesicht. „Halte
die Augen und Ohren offen. Jedes Kind, das nicht einem Nachtalben gleicht, ist
auf der Stelle zu töten!“ Mürane verbeugte sich und ließ den Obersten Alb
allein.
Eine junge Albin, die alles mit angehört hatte, drückte sich
dicht an die Wand um nicht gesehen zu werden. Als Mürane außer Sichtweite war,
schlich sie sich aus dem Palast und lief zu den Ställen. Als sie sich sicher
war das keiner der Stallburschen mehr bei der Arbeit war, entzündete sie eine
Laterne. Die Albin band sich mit einem Lederband die schwarze Haare zusammen
und beugte sich über einen mit Wasser gefüllten Eimer. Sie drückte mit Daumen
und Zeigefinger die Wimpern auseinander und drückte mit der anderen Hand die
roten Glass- linsen heraus. Sie hasste diese Art der Verkleidung, denn die
Linsen schmerzten auf den Augen, doch es ging nicht anders. Sie rieb sich die
Tränen aus den Augen und betrachtete das tiefe Blau. Was sie mit angehört hatte
erfüllte ihr Herz mit Trauer und mit Stolz zugleich. Sie war sich sicher, dass
sie genauso handeln würde. Die Gemeinschaft der Schattenelben, so wie sie sich
nannten, musste unentdeckt bleiben. Noch waren sie nicht genug um sich gegen
die Nachtalben zu behaupten und nach Hilfe zu suchen war nicht möglich. Sie
sattelte ein Pferd und verließ Pistrana. Sie würde nach Tenebris So’no suchen.
Wenn ihr Sohn auch eine Mutation war, wäre sie eine wertvolle Verbündete. Sie
schlug dem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte in die Nacht hinein.
Tenebris ritt langsam durch das Stadttor. Als sie sich als
Nachtalb zu erkennen gab, ließen die Wachen sie anstandslos passieren. Das
Fürstentum Urlandis war das ergiebigste und fruchtbarste Stück Land. Hier
wurden auch regelmäßig Aushebungen unter der Bevölkerung gemacht. Die Ruderer auf den Schiffen hielten
nicht lange durch, doch es gab immer genug Nachwuchs unter den Menschen mit dem
man sie ersetzen konnte. Die Albin ritt durch die Gassen, die Hufe ihres
Pferdes erzeugten laute Geräusche, die von den Häusern widerhallten. Sie hielt
vor einer Taverne und stieg vom Ross. Sie band das Tier an einen Pfosten und
betrat die Schenke.
Im Schankraum roch es nach Bier und Tabak. Die wenigen
Menschen die sich dort aufhielten waren Söldner, ansonsten sah man nur
Nachtalben. Sie ging zum Tresen und bestellte einen Tee. Der Wirt, der ein Mensch
war, verneigte sich tief und eilte davon. Während sie auf den Tee wartete
schaute sie sich genauer um und entdeckte junge Frauen, doch es waren keine
Nachtalben sondern Menschen. Einer der Alben, ein Soldat, ließ zwei
Silbermünzen in den Ausschnitt eines der Mädchen fallen. Sie lachte, nahm ihn
bei der Hand, ging mit ihm die Treppe hinauf und verschwand mit ihm in einem
der Zimmer. Der Wirt stellte den Tee auf den Tresen. Als er wieder gehen wollte,
hielt die Albin ihn fest. „Was tun die Mädchen hier?“ fragte sie mit strengem
Blick. „Sie sind Waisen oder ohne Vater und verdienen sich Geld in dem sie
ihren Körper verkaufen!“ antwortete er eingeschüchtert. „Ist eines der Mädchen
schon mal schwanger geworden?“ Der Wirt zuckte nur mit den Schultern. Die Albin
ließ seinen Arm los und er verschwand in der Küche.
Nachdenklich nahm sie einen Schluck und wärmte ihre Hände an
der heißen Tasse. Was wenn eines der Frauen ein Kind geboren hat, ein Halbblut
so wie Fortingas? Sie schaute zu den Söldnern: diese Sorte Mensch war nicht
anders als die Nachtalben, brutal und mordlustig. Schon möglich das der eine
oder andere durch die Vereinigung mit einem Alben entsprungen war. Sie Trank
ihren Tee aus und wandte sich an einen der Soldaten. „Ich suche Eurealè
Noc’tur. Kennst du sie und weißt wo ich sie finden kann?“ Der Alb drehte sich
zu ihr um, sein Atem roch nach Met und schalem Bier. „Was bietest du mir für
die Auskunft, Weib? Und komme mir nicht mit Silber, davon habe ich selbst
genug!“ lallte er sie an und lachte. Tenebris lächelte und streichelte seine
Wange, blitzschnell griff sie sein Ohr und zog den Kopf nach unten. Der Soldat
schlug hart auf den Tresen. „Ich habe mehr Elben getötet als du jemals Menschen
schlachten kannst und mehr Blut geleckt als du Met saufen kannst. Nun gib mir
eine Antwort und spreche mich gefälligst mit Herrin an, du Sohn eines zahnlosen
Mudrok!“ Einer der Soldaten wollte seinem Freund zu Hilfe eilen. Tenebris hob
das Bein und trat ihm ins Gesicht. Der Alb wurde von der Wucht des Trittes zu
Boden geschleudert. „In Richtung Norden liegt eine kleine Siedlung, dort findet
ihr sie, Herrin!“ Sie ließ den Soldaten los und ging rückwärts zur Tür. Die
Albin sprang auf ihr Pferd und ritt aus der Stadt.
Als der Tag anbrach erreichte Tenebris die Siedlung. Am
Anfang schien alles normal, doch dann fiel ihr auf, dass es nur wenige Menschen
in dem Dorf gab. Sie fragte eine Magd nach dem Haus von Eurealè und ihr wurde
der Weg gewiesen. Das Haus war aus Holz und passte ganz und gar nicht zu einem
Nachtalb. Tenebris sprang vom Pferd und wickelte die Schwerter aus. Sie legte
die Waffen an und klopfte an die Tür. Ein kleines Fenster wurde geöffnet und
das Gesicht eines Menschen schob sich durch den Spalt. Die Dienerin fragte was
die Albin wolle und wer sie war. „Ich bin Tenebris So’no. Sage deiner Herrin
das ich sie sehen will!“ Die Magd verschwand. Es verging eine kleine Ewigkeit,
dann wurde ihr Einlass gewährt. Eine Nachtalbin mit blonden Haaren nahm sie in
Empfang und umarmte sie. „Tenebris, Meisterin und gute Freundin. Sag, wie geht
es dir und wie entwickelt sich Fortingas, dein Sohn?“
Tenebris erwiderte die Geste, dann wurde sie von Eurealè in
einen Wohnraum geführt. Sie wies der
Albin einen Stuhl zu und setzte sich ihr gegenüber. Die Magd schob einen fahrbaren
Tisch, auf dem Tee serviert war, zu den beiden Frauen. Tenebris erzählte was es
Neues in der Hauptstadt gab und dass es ihr selbst gut ging, ihren Sohn
Fortingas erwähnte sie nicht. „Du hattest doch eine Tochter, wenn ich mich
recht erinnere war sie blind. Es ist nicht unsere Art solch ein schwaches Kind groß
zu ziehen. Hast du es getötet? Deine Mutter hätte es ohne zu zögern in der
Mitte geteilt!“ Eurealè wurde plötzlich ernst, Tenebris versuchte ihre Gedanken
zu erahnen.
„Nun, ich habe sie am Leben gelassen. Auch wenn sie blind
ist wird sie immer noch als Diener taugen!“ erwiderte Eurealè. Tenebris hatte
die Albin mit erzogen, ihr das Kämpfen und Bogenschießen gelehrt und wusste,
dass sie auf die eine oder andere Art log. Die Albin versuchte Eurealè etwas zu
entlocken das ihren verdacht bestätigte. Plötzlich trat ein junges Mädchen von
etwa dreizehn Sommern in den Raum. Sie trug einen Schleier auf dem Kopf und
eine Augenbinde. „Ich habe Hunger und die Magd ist nicht zu finden!“ sagte das
Kind und tastete sich voran.
Tenebris wurde misstrauisch. Das Kind lebte schon viele
Monde in diesem Haus und müsste sich darin zu Recht finden. Eurealè wies das
Mädchen an sich wieder zu entfernen. Doch Tenebris sprang auf und zog den
Schleier vom Kopf des Kindes. Ein roter Haarschopf kam zum Vorschein. Das
Mädchen schrie und schlug um sich, doch die Albin hielt sie fest und streifte
die Augenbinde ab. Zwei dunkelblaue Augen schauten sie verängstigt an.
Das Geräusch von schleifendem Stahl erklang, Eurealè hatte
ihr Schwert gezogen. „Lass mein Kind los!!“ sagte die Mutter mit drohender
Stimme. Tenebris schob das Kind von sich, sie drehte sich zu der Albin und
schaute ihr in die roten Augen. „Eurealè, lasse dein Schwert sinken. Du bist
keine Herausforderung für mich!“ sagte Tenebris und wirkte keineswegs
eingeschüchtert. „Vielleicht tötest du mich. Aber vielleicht auch nicht. Ich
werde nicht zusehen wie du mein Kind Calister Pouè Pas übergibst!“ Kaum hatte
Eurealè den Satz beendet, griff sie an. Die kampferprobte Albin wich den Hieben
geschickt aus. Jeder Angriff ihrer ehemaligen Schülerin ging ins Leere. Als
Eurealè wieder angriff, legte Tenebris die Hände über Kreuz, blockte den Schlag
und lenkte die Schwerthand in eine andere Richtung.
Tenebris umfasste die Hand, drückte mit dem Daumen auf das
Handgelenk und zwang Eurealè das Schwert los zu lassen. Mit einem Faustschlag
auf die Rippen nahm sie der Mutter die
Kondition zum weiter kämpfen.
„Ich bin nicht gekommen um mit dir zu streiten und ich habe
nicht vor dich zu töten!“ Tenebris spürte das jemand ihr gegen die Beine trat, es war das Mädchen.
Sie ließ die Frau los. „Ich bin hier um dich zu warnen. Calister glaubt, das
unreine Nachtalben geboren werden und wie ich sehe hat er sich nicht geirrt!“
Eurealè rieb sich ihren schmerzenden Arm. „Und warum sollte
ich dir glauben? Du warst ein Mitglied der Elite. Du hast mit ihm das Land
erobert. Nenne mir einen Grund warum ich dir vertrauen sollte!“ Tenebris
schwieg einen kurzen Moment, dann sagte sie: „Fortingas ist ein Halbblut. Er
ist zur Hälfte ein Mensch!“ Eurealè schaute in die Augen ihrer Mentorin und
konnte keine Lüge erkennen. „Erzähle mir alles!“
Autor: Raziael, Überarbeitung: Rina Smaragdauge
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