Kapitel 14: In die Falle getappt
Die Zeit des Wartens vertrieb sich die Zwergin zunächst in der Taverne. Sie nahm ein Abendmahl zu sich und nippte ab und zu an einem Humpen Bier. Sie wollte einen klaren Kopf bewahren und deshalb mußte sie sich das Bier gut einteilen, um eine Weile in der Wirtschaft bleiben zu können ohne hinausgeworfen zu werden. Doch leider ist irgendwann auch der größte Humpen ausgetrunken und so verließ sie die Örtlichkeit.
Es war schon dunkel, doch die Stadt war noch voller Leben. Und deshalb bemerkte sie auch nicht, daß jemand ihr zum Gefängnis folgte und beobachtete, wie sie sich hinter einem Haufen Unrat versteckte.
Nach einigen Stunden kehrte überall Ruhe ein, die letzten Betrunkenen waren nach Hause getorkelt oder von einer erbosten Gattin aus der Taverne gezerrt worden und die Stadtwache war nur noch mit einer kleineren Mannschaft besetzt. Der größere Teil der Nachtschicht bewachte die Stadtmauer.
Nun konnte Camy endlich ihren Plan in die Tat umsetzen: "Hujaaaah! Deine Rettung naht, oller Grummelzwerg!" wisperte Camy und reckte die rechte Faust entschlossen und zu Allem bereit in den nächtlichen Himmel. Dann rollte sie vorsichtig ein leeres Faß unter das Fenster, hinter dem sie den gefangenen Krieger vermutete. "Wulfgast? Bist du da?" rief sie leise durch das Gitterfenster hindurch. "Natürlich, wo soll ich denn sonst sein?! Glaub mir, ich wäre jetzt auch viel lieber ganz woanders!" grummelte er seine Antwort. "Ich wollte nur sicher sein, daß ich auch den Richtigen befreie." rechtfertigte sie sich und zog eine Feile aus dem Umhang.
"Ich hole dich hier raus. Nur Geduld." Sie begann an den Eisenstangen herum zu feilen. In der Stille der Nacht machte dies allerdings mehr Lärm als tagsüber und so mußte sie langsam und vorsichtig arbeiten, immer darauf bedacht niemanden auf ihr Tun aufmerksam zu machen.
"Beim Barte des Schmieds! Kannst du dich nicht beeilen, Mädchen?!" murrte Wulfgast ungeduldig. "Ich mach ja schon so schnell wie es nur irgendmöglich ist. Hör auf zu drängeln und paß auf das uns niemand erwischt." Insgeheim gab sie dem Krieger allerdings recht: das dauerte viel zu lange. Doch sie hatte damit angefangen, dann brachte sie es jetzt auch zu Ende.
Sie war so in ihre Arbeit vertieft, daß sie die Soldaten der Stadtwache nicht bemerkte, die leiste hinter sie getreten waren, bis sie der Zwergin auf die Schulter tippte. Erschrocken fuhr sie herum und schaute ertappt aus der Wäsche. "Der Hauptmann hatte also Recht behalten: die Zwergin versucht doch wirklich ihren Gefährten zu befreien. Gut, daß er uns hier patroullieren ließ. Kleine, du hättest die Axt stehen lassen sollen. Das du sie mitgenommen hast, hat seinen Argwohn geweckt!"
Er packte Camy unsanft am Arm, entriss ihr die Feile und zerrte sie mit sich ins Stadtgefängnis. "Da du offenbar solche Sehnsucht nach deinem Zwergenfreund hast, tue ich dir einen Gefallen und laße dich mit ihm die Nacht verbringen... Hinter Gittern!" hämisch lachend ließ er das Gitter hinter der Zwergin zufallen. Das Klicken des Türschlosses klang wie Hohn in den Ohren der Schmiedin.
Völlig entgeistert starrte Wulfgast seine neue Zellengenossin an. "Tut mir leid..." stotterte Camy und das Blut schoß ihr in den Kopf, so sehr schämte sie sich. Der Krieger war sprachlos und so weit er sich erinnerte, war das nur 1 oder 2 mal in seinem bisherigen Leben vorgekommen. "Es ist nicht ganz so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte..." begann sie weiter sich zu entschuldigen, doch da fand Wulfgast seine Sprache wieder.
"Ach Camy, daß ist doch gar nicht so schlimm." polterte er ironisch los. "Du bist Schmiedin und hattest eine ganze Schmiede voll mit den schönsten Werkzeugen, die ganz bestimmt geeigneter für eine Befreiung gewesen wären und du tauchst hier mit einer poppligen Feile auf!!! Das ist so, als zieht man nur mit einer Fliegenklatsche in die Schlacht... Oder kämpft mit dem Zahnstocher gegen einen Höhlentroll!!! Wenn du die Feile wenigstens, wie es sich bei anständigen Ausbrechern auch gehört, in einem Kuchen versteckt hättest!!! Dann hätten wir zumindest etwas zu Beißen und ich wäre jetzt nicht mehr so hungrig. Und Zucker soll ja angeblich auch glücklich machen. Im Großen und Ganzen wäre dann unsere Situation ein bißchen besser zu ertragen!"
So schimpfte er sich den ganzen Frust von der Seele und Camy ließ ihn gewähren, aber die Zwergin fühlte sich durch seine harschen Worte immer miserabeler. Doch zu allem Übel mußte sie jetzt wohl irgendwie das Gold auftreiben, vermutlich sogar doppelt so viel, jetzt wo sie zu zweit im Gefängnis saßen. Wenn sich der Hauptmann überhaupt noch auf die Bestechung einließ...
"Hey, Herr Zwerg. Kannst du nicht ein bißchen leiser Mosern?" unterbrach eine Knabenbstimme Wulfgasts Gezeter und ein schmales Jungengesicht tauchte im Fenster auf. "Was willst du denn hier?! Paß bloß auf, daß dich die Wachen nicht erwischen, Bürschchen!" entfuhr es dem Krieger, als er den Jungen erkannte. "Das ist der Junge, der sich vom Bäcker beim Klauen erwischen ließ." erklärte er Camy. "Ich hole euch hier heraus. Ich bin dir was schuldig, Herr Zwerg. Und ich verspreche euch beiden: mein Plan funktioniert ganz bestimmt. Kannst du noch ein bißchen weiter schimpfen, damit die Wachen keinen Verdacht schöpfen?" Als Wulfgast nickte und begann mit seinem Monolog fortzufahren, verschwand das Gesicht des Jungen wieder und nach ein paar Minuten konnten die Beiden Gefangenen das Klappern von Pferdehufen hören.
Dann wurde eine schwere Eisenkette um die Gitter geschlungen und wieder tauchte das Gesicht des Knaben im Fenster auf. Es war von den Schlägen und der Misshandlungen des Bäckers arg gezeichnet. Der Mann hatte dem Jungen wirklich übel mitgespielt und Camy überkam Mitleid mit ihm und Wut auf den Händler. Wie gut, daß Wulfgast eingegriffen hatte. Im Stillen bewunderte sie ihn für seinen Mut und dachte: 'Ich wünschte ich könnte so sein wie er. Mutig und ehrenhaft.'
"Tretet zur Seite, ich werde jetzt das Gitter aus dem Fenster reißen. Aber haltet euch bereit, ihr müßt schnell hinausklettern, die Wachen werden den Radau hören und nachsehen was hier vor sich geht." Die beiden Zwerge taten wie ihnen geheisen, dann gab der Junge dem Pferd einen Klapps auf den Hintern und im Nu gaben die Eisenstäbe nach und der Weg war für die Zwerge frei. Rasch kletterten sie in die Freiheit, während der Junge dem Pferd geschwind die Eisenkette vom Hals nahm.
"So, das wäre geschafft." Er zeigte auf das Pferd: "Ihr reitet besser aus der Stadt, steigt schon auf. Ich lenke die Wachen erst einmal in die falsche Richtung." Camy und Wulfgast nickten entgeistert: der Knabe hatte seinen Plan wirklich gut überdacht. Er half ihnen beim Aufsteigen und die beiden Zwerge bedankten sich schnell. Der Junge winkte ab: "Jetzt sind wir quitt, Herr Zwerg."
Dieses Mal gab er dem Pferd einen heftigeren Klapps und sofort galoppierte es los. "Laßt euch nicht mit dem Gaul erwischen, der is nämlich geklaut!" rief der Junge fröhlich und winkte zum Abschied. Dann wartete er auf die Wachen und achtete darauf, daß sie ihn auch sehen würden wenn sie um die Ecke kämen. Deshalb erblicken sie ihn auch sofort und folgten ihm, als er vor ihnen davon lief und so bekamen die flüchtenden Zwerge ein noch größeren Vorsprung.
Das Stadttor war zum Glück nicht verschlossen und die Wachhabenden wollten sich von 2 Zwergen, die auf einem galoppierenden Klepper auf und ab hopsten, nicht über den Haufen reiten lassen und sprangen im letzten Moment zur Seite. So gelangten Camy und Wulfgast zu dem Versteck mit ihren Habseligkeiten, schickten das Pferd zurück und liefen im Eiltempo weiter bis die ersten Sonnenstrahlen einen neuen Tag ankündigten. Sie hatten einen kleinen Wald erreicht und beschlossen, sich erst einmal von den Strapazen der Nacht zu erholen.
***
Viel Spass beim Lesen wünscht Euch Eure Rina